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Linux?
Nebensache!

Gastkommentar, Linux-Magazin 08/2001


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Das Web feierte unlängst sein Zehnjähriges und Linux geht ebenfalls auf einen zweistelligen Geburtstag zu. IBMs Wladawsky-Berger sieht sogar eine Zeitenwende und den "heiligen Gral der Interoperabilität" in Reichweite rücken, doch das eigentliche Linux ist in Wahrheit eher Nebensache.

So erfreulich die enorme Vermehrungsrate der Pinguine auch ist, so sehr wird die Bedeutung von Linux oft überschätzt. Im Gegensatz zu manchem Linux-Fanatiker, der sich selbst für den Erfinder des tiefen Tellers hält, ist Linus Torvalds Realist geblieben: Ohne die GNU-Tools und die freien Compiler hätte er mit Sicherheit keine Chance gehabt, sein eigenes Betriebssystem zu schreiben, bekannte er freimütig.

Ohne Wenn und Aber sei eingeräumt, dass Linux ganz beachtliche Phänomene hervorgebracht oder zumindest begünstigt hat, und zwar auf beiden Seiten des Zauns. Auf der amüsanten Seite sind jene Scharen von "Linuxern der ersten Stunde" anzusiedeln, die, wenn man ihnen glauben darf, selbstverständlich schon seit 1992 die Linux-Fahne hoch halten - mitunter sogar, bevor Torvalds den ersten Kernel geschrieben hatte.

Gerade in den letzten Jahren fällt es jedenfalls mir zunehmend schwerer, überhaupt noch jemanden zu finden, der nach eigenem Bekunden nicht schon von Anfang an dabei ist.

Für ganz andere Phänomene sorgte Linux im amerikanischen Nordwesten, wo das Pinguin-Betriebssystem und Open Source bei den üblichen Verdächtigen recht kräftige Adrenalin-Schübe auslösten: Seit mehr als einem halben Jahr läuft dort eine Schmutzkampagne, wie sie in den letzten zwanzig Jahren in der IT-Branche ihresgleichen sucht.

Nachdem sich die Open-Source-Welt mittlerweile fast daran gewöhnt hat, dass Linux, stellvertretend für Open Source schlechthin als "Kommunismus" bezeichnet und für den "Tod geistigen Eigentums" verantwortlich gemacht wird, beschwor Microsoft-President und CEO Steve Ballmer unlängst ein neues Horror-Szenario: Linux, so orakelte Steve, sei nichts anderes als ein "Krebsgeschwür".

"Raumgreifende Prozesse" und Metastasen im Rechner also? Nicht auszudenken, wenn hierbei auch noch genmanipulierte Software im Spiel wäre. Umso alarmierender, dass es bei Microsoft Administratoren und womöglich auch Programmierer geben muss, die sehenden Auges ins Verderben laufen: In der zweiten Juni-Hälfte wurde publik, dass Microsoft aller kanzerogenen Wirkungen ungeachtet Open-Source-Software einsetzt, und zwar hauptsächlich dort, wo's wirklich kritisch ist.

Viel Feind, viel Ehr' für Linux? Wenn schon, dann eher für Open Source schlechthin, denn Linux ist als handlicher Sammelbegriff im Grunde nur deren prominentester Vertreter.

Linux spielt hier also nicht unbedingt die erste Geige, denn trotz aller Vorzüge wie Stabilität, Sicherheit, Zuverlässigkeit und Verifizierbarkeit wäre es zu kurz gegriffen, die Betrachtung auf dieser Ebene zu beenden. Denn auch Open Source ist letztlich nicht das Ziel, sondern nur der Weg, und zwar zur Verbreitung offener Standards.

Open Source ist zwar nicht die einzige Möglichkeit, offene Standards zu verbreiten, sehr wohl aber die perfekteste und erfolgreichste Umsetzung der Open-Standards-Idee in die Praxis: Offener als bei Open Source kann Software nicht mehr sein. Der Angstgegner Microsofts heißt folglich auch nicht Linux oder Open Source, sondern Open Standards: Die geben nämlich dem Kunden seine Wahlmöglichkeit zurück und sind Gift fürs Redmonder Monopol. Linux & Co. hingegen sind nur Transportvehikel, die den Sprengkopf ins Ziel tragen.

Ein Open-Source-Vernichtungsschlag zur Ausrottung proprietärer Software jeglicher Couleur? Wer das will, tritt in die Fußstapfen jener, die er heute lauthals verdammt. Es geht nicht um Ausrottung, sondern um Gleichgewicht und Koexistenz. Open-Source-Geschäftsmodelle eignen sich nicht für alles und jeden, so dass es nach wie vor auch proprietäre Software geben wird und geben muss. Entscheidend ist nicht, dass alle Software dieser Welt Open Source wird, wohl aber, dass sie offene Standards nutzt.

Und zwar kompromisslos.


Eitel Dignatz ist Managementberater und Inhaber der Münchner Unternehmensberatung Dignatz Consulting.

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